Amtsgericht München zu Durchsuchungen und Telefon-Überwachung Hier sind die Gerichtsbeschlüsse zur „Letzten Generation“

Dokumente aus laufenden Strafverfahren darf man in Deutschland eigentlich nicht veröffentlichen. Doch es gibt Dokumente, die gehören an die Öffentlichkeit.

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Kaum eine aktivistische Initiative erhitzte in den vergangenen Jahrzehnten die deutschen Gemüter so sehr wie die „Letzte Generation“. Ihre Aktionen und Straßenblockaden sollen die Bundesregierung zum Kampf gegen die Klimakatastrophe animieren, riefen bundesweit aber vor allem zahlreiche Schmerzgriffe, Taliban-Vergleiche und allerlei Selbstjustiz hervor.

Im Mai ließ die Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnungen und Aufenthaltsorte von sieben Menschen der „Letzen Generation“ durchsuchen. Polizist*innen trugen Computer und Telefone aus den Zimmern, beschlagnahmten Bankkonten und die Website. Auch die Telefonate der „Letzten Generation“ mit Journalist*innen ließ die Generalstaatsanwaltschaft München monatelang abhören.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: „Die letzte Generation“ habe eine kriminelle Vereinigung gebildet, strafbar mit bis zu fünf Jahren Gefängnis.

Wie begründet ein Gericht diese Maßnahmen? Das ist eine wichtige Frage. Sie sollte öffentlich diskutiert und bewertet werden. Doch so einen Gerichtsbeschluss zu veröffentlichen, ist eigentlich gegen das Gesetz. Ich mache es trotzdem.

Hier veröffentliche ich erstmals die Beschlüsse des Münchner Amtsgerichts zu den Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Abhörmaßnahmen gegen die „Letzte Generation“. In diesen Dokumenten sieht man: Grundrechte wie die Pressefreiheit hat das Gericht gar nicht geprüft, als es beschloss, dass die Aktivist*innen durchsucht und abgehört werden dürfen.

Verbot ist verfassungswidrig

Eine Veröffentlichung von derartigen amtlichen Dokumenten aus Strafverfahren ist eigentlich nach § 353d Nr. 3 StGB verboten. Deswegen schreckten Medien in Deutschland bisher davor zurück, aus den Beschlüssen zu zitieren und diese im Detail zu besprechen.

Ein striktes Veröffentlichungsverbot für die Dokumente dürfte in Bezug auf die freie Berichterstattung der Presse jedoch verfassungswidrig sein und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte kann eine Veröffentlichung von Dokumenten aus Strafverfahren nur dann verboten sein, wenn sie die Wahrheitsfindung der Gerichte oder die Unschuldsvermutung beeinträchtigt. Außerdem muss dies mit dem Informationsinteresse der Presse abgewogen werden. Nach dieser Rechtsprechung müsste die Veröffentlichung der Beschlüsse zur „Letzten Generation“ erlaubt sein. Das Strafgesetzbuch erwähnt diese Kriterien aber nicht.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Veröffentlichungsverbot in älteren Entscheidungen noch durchgewunken hat, wies der Bundesgerichtshof jüngst in seinem Urteil zu Tagebüchern im „Cum-Ex“-Skandal auf den Konflikt mit der Pressefreiheit hin. Der Straftatbestand muss daher dringend reformiert werden oder von den Gerichten verfassungskonform und im Einklang mit europäischen Menschenrechten ausgelegt werden.

Kriminelle Vereinigung – oder nicht?

Über die Aktionsform und Forderungen der „Letzten Generation“ lässt sich freilich streiten. Selbst in der Klimabewegung stellen viele das Vorgehen der „Letzten Generation“ in Frage, darunter etwa Luisa Neubauer von „Fridays for Future“. Unabhängig von der Bewertung der einzelnen Aktionen kritisierten aber zahlreiche Stimmen in Politik und Zivilgesellschaft die Razzien und die Überwachung der Presse als unverhältnismäßig. Auch UN-Generalsekretär António Guterres betonte die Bedeutung von Klimaschützer*innen und deren Aktionen.

Kern des bayerischen Vorgehens gegen die „Letzte Generation“ sind drei Beschlüsse, die ich abgetippt habe und mit Schwärzungen zum Schutz personenbezogener Daten veröffentliche: Erstens ein Beschluss zur Razzia bei insgesamt 15 Objekten am 16. Mai 2023; zweitens ein Beschluss zur Beschlagnahmung der Website vom 23. Mai 2023; und drittens ein Beschluss zur Überwachung des LG-Pressetelefons vom 13. Oktober 2022.

Die Beschlüsse basieren allesamt auf dem Vorwurf, die „Letzte Generation“ haben eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB gebildet. Der Paragraf ist verfassungsrechtlich hoch umstritten. Er stellt die Mitgliedschaft in Vereinigungen unter Strafe, deren Zweck es ist, Straftaten zu begehen. Das führt dazu, dass man bereits weit im Vorfeld von Straftaten als kriminell eingestuft werden kann. Damit zielt der Straftatbestand eigentlich auf mafiöse Strukturen und organisierte Kriminalität. Er steht aber seit langem in der Kritik, als Schnüffelparagraf einschneidende Ermittlungsmaßnahmen gegen politisch unliebsame Aktivist*innen zu ermöglichen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung für eine kriminelle Vereinigung, dass ihre Straftaten von „einigem Gewicht“ sind und eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ bedeuten. Außerdem dürfte nach dem Gesetz die Begehung von Straftaten keine „untergeordnete Bedeutung“ haben.

Die Berliner Staatsanwaltschaft kam kürzlich zum Schluss, dass die „Letzte Generation“ keine kriminelle Vereinigung sei. Das sah auch die bayerische Staatsanwaltschaft vor einem Jahr noch so, änderte dann aber offenbar ihre Meinung.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass sich der Münchner Ermittlungsrichter bei der juristischen Argumentation in den Beschlüssen zur „Letzten Generation“ offenbar nur wenig Mühe gegeben hat und seine Einschätzungen kaum begründet. Das ist vor allem deswegen schwerwiegend, weil die Konsequenzen für die Beschuldigten und ihr Umfeld gravierend sind. Die Entscheidungen des Gerichts enthalten zwar Listen von Vorwürfen gegen die „Letzte Generation“, bei denen die strafrechtliche Relevanz oft nicht geklärt ist. Sie enthalten aber allesamt keine Abwägungen mit den Grundrechten der Betroffenen.

Wie das Gericht Grundrechte ausspart

Zum einen hat das Amtsgericht nicht geprüft, ob die Taten der „Letzten Generation“ – überwiegend Straßenblockaden – nicht eigentlich von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Zum anderen hat es nicht geprüft, ob die von ihm erlaubten Maßnahmen, also die Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Abhörmaßnahmen, verhältnismäßig sind. Sie greifen tief in die Grundrechte der davon Betroffenen ein, etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Pressefreiheit. Die Grundrechte werden in den Beschlüssen aber nicht einmal erwähnt.

Am auffälligsten ist das bei einem Beschluss zur Überwachung des Pressetelefons der „Letzten Generation“: Er ist auf den 13. Oktober 2022 datiert und enthält wie auch der Durchsuchungsbeschluss eine Liste der angeblichen Straftaten und einige formelhafte Voraussetzungen für das Abhören des Telefons. Die „Letzte Generation“ verhalte sich „sehr konspirativ, es sollen die Strukturen erhellt werden.“ Der Beschluss aus dem Oktober wurde nicht vollzogen, ein inhaltsgleicher Beschluss mit neuen Daten dann aber am 3. November 2022 erlassen und ab 7. November vollzogen.

Dass es sich bei der abzuhörenden Telefonnummer, einer Festnetznummer, um das Pressetelefon der Initiative handelt, kommt im Beschluss nicht vor. Dementsprechend gibt es auch keine Abwägung der Abhörmaßnahme mit dem schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit der Journalist*innen, deren Gespräche mit Aktivist*innen über ein halbes Jahr abgehört wurden.

Journalist*innen wurden überwacht

Ursprünglich sollte die Abhörmaßnahme Ende Januar 2023 auslaufen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste dem Ermittlungsrichter klar gewesen sein, wie unverhältnismäßig die Überwachung ist. Denn die Kriminalpolizei schrieb in einem internen Vermerk am 9. Januar, der mir vorliegt, den ich aber aus Quellenschutzgründen nicht veröffentlichen kann: „Auf dem Anschluss gehen fast ausschließlich Anfragen von Medienvertretern, Studenten und Schülern ein, die um eine Presseauskunft oder ein Interview bitten.“ Weiter heißt es darin: „Durch die Telekommunikationsüberwachung zeigt sich jedoch auch, dass die tatsächlichen Anschlussnutzer für den örtlichen Raum Berlin Pressevertreter über Aktionen in Kenntnis setzen und auch durch Aktivisten über Aktionen informiert werden. Das Verhalten der tatsächlichen Anschlussnutzer zeigt, dass diese bereits vorab von anderen Personen in Kenntnis gesetzt werden und beweist somit den Organisationsgrad der Letzten Generation.“

Der zentrale Satz folgt darauf: „Erkenntnisse über bevorstehende Aktionen, welche nicht bereits durch Pressemitteilungen oder -Konferenzen veröffentlicht wurden, konnten ihm (sic!) Rahmen der Überwachung nicht festgestellt werden.“

Das bedeutet: Der Ermittlungsrichter wusste möglicherweise schon im Oktober 2022, aber allerspätestens im Januar 2023, dass Journalist*innen überwacht werden und dies noch nicht einmal einen Mehrwert für die Ermittlungen bedeutet. Trotzdem verlängerte das Gericht die Abhörmaßnahmen daraufhin um weitere Monate. Nähere Angaben dazu machte die Münchner Generalstaatsanwaltschaft auch auf Anfrage nicht. Sie verweist auf die laufenden Ermittlungen und ihre Pressemitteilung, nach der die Maßnahmen verhältnismäßig gewesen seien. Inzwischen wurde die Überwachung nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft eingestellt.

Die Journalisten Ronen Steinke, Henrik Rampe und Jörg Poppendieck haben gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Reporter ohne Grenzen inzwischen beim Amtsgericht München einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung der Überwachung gestellt. Steinke hatte zuvor bereits über die Abhörmaßnahmen berichtet. Auch der Bayerische Journalistenverband beschwerte sich gemeinsam mit betroffenen Journalist*innen.

Der bayerische Ermittlungseifer könnte vor allem politisch motiviert sein. Der Ermittlungsrichter schreibt in den Beschlüssen in Bezug auf eine Aktion, dass Politiker eine strafrechtliche Ahndung gefordert hätten. Offenbar vermutet das Münchner Amtsgericht hinter der „Letzten Generation“ linke Aktivist*innen. So steht im Durchsuchungsbeschluss, die Polizeibeamt*innen sollten u.a. nach Gegenständen, Unterlagen und Dateien suchen, „die Aufschluss über links-radikales verfassungswidriges Gedankengut“ der Beschuldigten geben.

Die Generalstaatsanwaltschaft erklärt dazu auf Anfrage, dass die „Letzte Generation“ zwar derzeit nicht als „links-extremistisch“ eingestuft werde. Die Frage, ob „links-radikales Gedankengut“ vorhanden sei, lasse grundsätzlich aber Rückschlüsse auf die Mitgliederstruktur zu, welche Teil der Ermittlungen ist.

Diffuse Liste von angeblichen Straftaten

Die Liste der vom Amtsgericht so benannten Straftaten der „Letzten Generation“, die in allen Beschlüssen angeführt wird, ist ein wilder Mix aus sehr unterschiedlichen Aktionen verschiedener (Lokal-)Gruppen im Jahr 2022: So finden sich darin Blockaden von Autobahnausfahrten und eine Störung von Schiffsverkehr und von Flughäfen genauso wie das anderthalbstündige Festkleben von Aktivist*innen an der Leipziger Jahnallee. Auch das Beschmieren des Bundeskanzleramts und das Festkleben an einem Gemälde in der Dresdner Gemäldegalerie listet das Amtsgericht unter den „strafbaren Aktionen“ der „Letzten Generation“.

Ob die Liste allerdings tatsächlich und ausschließlich Straftaten enthält, ist völlig offen. Bisher streiten Gerichte und Rechtswissenschaft darüber, ob etwa die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ als ziviler Ungehorsam überhaupt strafrechtlich relevant sind. Aktenzeichen von abgeschlossenen Gerichtsverfahren enthält die Liste der Aktionen in den Beschlüssen nicht, konkrete Straftatbestände auch nicht. Daraus zu schließen, dass die „Letzte Generation“ künftig Straftaten von einigem Gewicht bezwecke, dürfte äußerst umstritten sein.

Opfer werden zu Täter*innen

Das Amtsgericht München wirft der „Letzten Generation“ im Durchsuchungsbeschluss sogar vor, dass sie selbst zum Opfer von Selbstjustiz werden, wenn „geschädigte Autofahrer Aktivisten der Letzten Generation körperlich oder sogar mit dem PKW angreifen“. Dies nähmen „die Mitglieder der Letzten Generation zumindest billigend in Kauf“, heißt es in den Beschlüssen. Die Straftaten gegen die „Letzte Generation“ werden den Opfern zugerechnet.

Zweien der sieben Beschuldigten wirft das Amtsgericht neben der Bildung einer kriminellen Vereinigung aber immerhin eine konkrete Straftat vor: Sie hätten im April 2022 versucht, die durch Bayern führende Transalpine Ölleitung abzudrehen. Das sei ihnen zwar nicht gelungen, aber dieser Versuch der Störung öffentlicher Betriebe ging laut Ermittlungsrichter einher mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Die Ölleitung wurde für 5 Stunden abgestellt. Durch die Beschädigung eines Sicherungszauns und eines Vorhängeschlosses sei ein Schaden von 2.870 Euro entstanden.

Wie die Justiz einschüchtert

Zwar hat die Generalstaatsanwaltschaft noch keine Anklage erhoben und es bleibt abzuwarten, ob sie dies tun wird. Einen deutlichen Effekt haben die Beschlüsse allerdings jetzt schon: Der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermächtigt die Ermittler*innen zu weitläufigen Überwachungen im Umfeld der „Letzten Generation“. Und die Durchsuchungs- und Abhörmaßnahmen wirkten als klare Einschüchterung gegenüber den Aktivist*innen und ihren Unterstützer*innen.

Auf Anfrage erklärt die „Letzte Generation“: „Die Hausdurchsuchungen haben uns Angst gemacht und sicherlich auch eingeschüchtert“. Gleichzeitig werde „die absurde Reaktion der Regierungen innerhalb Deutschlands auf friedlichen Protest für unsere Verfassung und die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge sowie des Grundgesetztes ersichtlich“.

Zur Abschreckung trug maßgeblich bei, dass die Polizei nach der Beschlagnahmung der „Letzte Generation“-Website dort meldete, die Initiative sei eine „kriminelle Vereinigung“ und Spenden an sie sei „mithin ein strafbares Unterstützen“. Das war offensichtlich rechtswidrig, die Polizei musste die Formulierung ändern.

Zudem dürfte es besonders einschüchtern, dass die Justiz nicht nur wegen der Bildung, sondern auch wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt: Das ist zum einen gegen das Betreiben der Website gerichtet, zielt zum anderen aber vor allem auf das Geld der „Letzten Generation“ ab. Denn die Durchsuchung beim gemeinnützigen Verein, der das Spendenkonto für die Initiative führte, schüchtert bis heute offenbar institutionelle Geldgeber*innen der „Letzten Generation“ ein. Viele unterstützen die Ziele der Initiative, aber haben Angst vor dem harten Durchgreifen der Justiz.

Ob deren Maßnahmen verhältnismäßig waren oder eher ein politisches Manöver, kann nicht nur nach jahrelangen Verfahren von Gerichten entschieden werden, zumal die Verfahren nach § 129 StGB häufig besonders lange dauern. Es muss jetzt öffentlich diskutiert werden. Denn jetzt entfalten die Maßnahmen ihre durchgreifende Wirkung in Teilen der Bevölkerung. Deswegen sind die Beschlüsse der bayerischen Justiz jetzt hier transparent einsehbar.

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